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Fußballphantasien wurden wahr

Ein Erlebnisbericht von der Fußballweltmeisterschaft 1954

Alles dreht sich in diesen Tagen um die Fußballweltmeisterschaft. Es herrscht eine ähnliche Begeisterung wie 2006. Wer wird Weltmeister? Da gehen die Gedanken zurück an das Jahr 1954, als Deutschland erstmals den Titel holte. Wie oft hören wir die denkwürdige Reportage von Herbert Zimmermann vom 4. Juli 1954 aus Bern, als Deutschland 3:2 gegen Ungarn gewann. Da muss ich immer an eine ganz andere Reportage vom gleichen Tage und zum gleichen Ereignis denken:

1954 waren die Verhältnisse noch etwas anders. Jedes Jahr am ersten Sonntag im Juli pilgerten damals die Weißenthurmer mit dem Schiff nach Bornhofen. (Das ist auch heute noch so; jedoch an einem anderen Termin.) So war es auch an diesem denkwürdigen 4. Juli, dem Tag des Finales gegen Ungarn.

Auch wir Messdiener waren eingeladen, kostenlos mitzufahren. Da gab es kaum ein Überlegen. Obwohl die meisten schon öfter in Bornhofen waren, war diese Wallfahrt immer ein besonderes Erlebnis für uns.

Natürlich interessierte die Weltmeisterschaft uns ebenfalls sehr. Wir hatten schon einige Reportagen der Vorrunde im Radio gehört und manche auch leidlich gesehen: Auf der Straße vor Schaufenstern von Elektrogeschäften oder auch schon mal in einer Gastwirtschaft, die schon einen Fernseher hatte. Jedoch für das Endspiel rechnete man sich ohnehin keinen Platz vor dem Fernseher aus. Außerdem schätzte man die Chance eines Sieges nicht sehr hoch ein. Schließlich hatte Deutschland gegen Ungarn in der Vorrunde hoch verloren. (Von Taktik hatten wir noch wenig gehört.)

Jedenfalls fuhren wir in großer Zahl mit und das Schiff war wie immer voll. Auf der Rückfahrt von Bornhofen wurden wir dann doch etwas nervös. Auf dem Schiff gab es natürlich keinen Fernseher und auch kein Radio; keiner wusste, was in Bern gerade los war.

Als das Schiff dann Urmitz passierte, war das ungefähr in der letzten Phase des Spiels. Johnny, einen der Messdiener, hielt es dann nicht mehr. Aus der Phantasie begann er eine eigene Reportage des Spiels. Und die wurde immer spannender. Kurz vor Weißenthurm fiel bei ihm das 3:2!

Als das Schiff in Rufweite des Ufers zum Anlegen kam, riefen die Leute uns schon entgegen: Wir sind Weltmeister! Das Spiel war eben zu Ende gegangen und zwar genau so, wie es Johnny vorher ersonnen hatte: 3:2. Die Zuschauer aus der nahe gelegenen Gaststätte „Zum Anker“ waren heraus gestürmt. Es herrschte ein Freudentaumel.

Trotzdem machten die Wallfahrer eine Prozession zur Kirche. An allen Häusern waren die Fenster und Türen geöffnet. Die Bewohner schauten oder kamen heraus und jubelten. Ich erinnere mich noch gut an ein altes Mütterchen, das sicher noch nie ein Fußballspiel gesehen hatte. Es winkte aus dem Fenster und rief: „Wir sind Weltmeister, wir sind Weltmeister!“ Obwohl wir es schon hundertmal gehört hatten. Inbrünstiger als in der anschließenden Abschlussfeier in der Kirche ist das „Großer Gott, wir loben Dich“ wohl selten gesungen worden.

Heinrich Wagner

Dieser Bericht wurde in der Zeit der WM 2010 verfasst und auch innerhalb einer Reportage mit Fotos in der Rhein-Zeitung veröffentlicht. Sie können ihn hier lesen: Rhein-Zeitung


Hier ein weiterer Bericht eines damals Siebenjährigen:

Rudelgucken im Schuhhaus Bertram

Anlässlich einer Geburtstagsfeier war ich unlängst mal wieder in meiner Heimatstadt Weißenthurm.

Natürlich nimmt man solche Besuche immer zum Anlass, zu schauen, was sich mal wieder so gegenüber früher in / an der Stadt verändert hat.

Irgendwann blieb ich dann auf der Hauptstraße in Höhe des früheren “Rheinischen Kaufhaus“ stehen. Also visavis vom Weißen Thurm (Eulenthurm).

Da fällt es einem schon schwer sich an das frühere Bild von gleicher Stelle aus zu erinnern, an das alte Bild vom Treppchen am Kanal bis hin zum “Schmied Syri”.

Im Zentrum dieses Blickfeldes war früher das Schaufenster des “Schuhhaus Bertram“ bzw.  des darunter aufgehängten Schaukastens der “Rhenania Lichtspiele“.

 Natürlich war unsere Familie auch Kunde bei Bertrams. Dies zahlte sich insbesondere bei der WM 1954 aus.

Bertrams besaßen  zu dem Zeitpunkt jener WM bereits eines der wenigen Fernsehgeräte in Weißenthurm.

Also wurde das Geschäftslokal kurzerhand zum Übertragungsort umfunktioniert.

Den Verkaufsladen von Bertrams muss man sich so vorstellen, dass er aufgrund der örtlichen Gegebenheiten “stufig“ angelegt war; hatte somit etwas von einem Kinosaal.

Das Ladenlokal war wohl recht groß, aber viel zu klein, für all die Leute, die das Endspiel um die Weltmeisterschaft dort gucken wollten.

Der Kampf um die Plätze war den Erzählungen nach sehr heiß  und hatte im Nachhinein von daher nicht nur gute Folgen für die Bertrams.

Das ich als damals 7-jähriger dennoch dort den Kampf von Fritz Walter & Co mitverfolgen konnte, “verdanke” ich einer Tatsache, die als solche schon mehr als traurig war. Mein Vater hatte als junger Mann im Krieg ein Bein verloren; konnte auch keine Prothese tragen.

An diese Stelle passte nun  räumlich–platzmäßig  gesehen exakt dieser mit einer Schräge versehenen  “Schuhanprobehocker”, auf dem ich wiederum super sitzen konnte, ohne sonst jemandem einen Platz weg zu nehmen.

Alle Welt kennt heute den Ausruf des  Reporters Herbert Zimmermann “ Rahn müsste schießen, Rahn schießt   ....   ”.

Man sollte davon ausgehen, dass ich mich noch an den bekannten Ausruf des Reporters erinnern würde.

Mitnichten !!!

Das konnte wahrscheinlich wohl niemand der “Wunder von Bern“-Zeugen von Bertrams behaupten. Bei dieser Geräuschkulisse ging jeder Originalkommentar aus dem Äther unter.

Anmerkung: Auch ohne diese Geräuschkulisse hätte es keiner gehört, denn der Ausruf kam nur im Radio.

Heinz Lorig